Das Bild des Bauingenieurwesens ist geprägt von großen Bauwerken aus Stahl oder Beton, die durch Flächenversiegelung und der Verdrängung von Ökosystemen im Konflikt mit Ressourcen- und Umweltschutz stehen. Doch anstatt das Bauingenieurwesen mit einem Bauen „gegen“ die Natur gleichzusetzen, zeigen wir hier Beispiele, bei denen Bauen mit der Natur einen Paradigmenwechsel hin zu einer umweltschützenden und -fördernden Perspektive des Bauens darstellt. Dieses Thema gewinnt zunehmend an Relevanz und stellt an der TU Braunschweig einen Schwerpunkt bei der Ausbildung der zukünftigen Generationen an Bauingenieurinnen und Bauingenieuren dar.
So werden in Bauen für die Natur Revitalisierungsmaßnahmen in Flüssen wissenschaftlich untersucht, um die Einflüsse auf ein Ökosystem zu quantifizieren. Bauen für Tiere beschäftigt sich mit Fragestellungen, wie die ökologische Durchgängigkeit gewährleistet werden kann, wenn die Flüsse durch Querbauwerke für die Nutzung durch den Menschen verändert sind. Bauen mit Ökosystemen erkundet die Möglichkeiten des ökosystemstärkenden Küstenschutzes. Vor der Herausforderung des steigenden Meeresspiegels stehen u.a. unsere weiten Sandstrände, deren naturnahen Anpassungsmöglichkeiten im Bereich Bauen mit Sand näher beleuchtet werden.
Was bewirken Renaturierungsmaßnahmen in Flüssen und wie hängt die Biologie mit der Physik zusammen? Diesen Fragen widmet sich das im Jahr 2015 gestartete Verbund-Projekt „Wilde Mulde – Revitalisierung einer Wildflusslandschaft“, zu deren Beantwortung die Abteilung Wasserbau und Gewässermorphologie des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau mit ihrer Forschung beiträgt.
Die Gewässerrenaturierung, d.h. die Rückführung eines ausgebauten Flusses zu einem wertvollen Lebensraum, gehört schon seit den späten 1990er Jahren zum Repertoire von Ingenieurbüros. Allerdings mangelt es immer noch an Wissen darüber, wie eine Maßnahme konkret gestaltet werden muss, damit das Ökosystem Fluss bestmöglich davon profitiert.
Aus dieser Fragestellung heraus wurden in einem etwa 20 km langen Abschnitt der Mulde, einem Nebenfluss der Elbe, zwischen Raguhn und Dessau-Roßlau verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur geplant und umgesetzt. Dazu zählten der Einbau von Raubäumen, die streckenweise Wiederherstellung eines Naturufers durch Rückbau der Ufersicherung und die Anbindung eines Seitenarms.
Mit regelmäßigen Messungen hydraulischer Größen (Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten) und morphologischer Parameter (Kornverteilung des Sohlsediments und Sohltopographie) wird erfasst, ob die Maßnahmen zu der angestrebten eigendynamischen Entwicklung unterschiedlicher Habitate auf kleinem Raum führen. Im Wasserbaulabor des LWI werden einzelne Prozesse herausgegriffen und in Parameterstudien der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ermittelt. Beispielsweise wird der Einfluss von Eigenschaften eines im Wasser liegenden Baums (z.B. Wurzeltellerdurchmesser und Baumlänge) bei verschiedenen Wasserständen auf die Entwicklung der Sohle (Bank- und Kolkbildung) untersucht.
Zusammen mit biologischen und chemischen Daten von den Projektpartnern werden Rückschlüsse auf die Wirkung für die Tier- und Pflanzenwelt gezogen. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen aufzeigen, wie künftige Renaturierungsmaßnahmen wirkungsvoller und nachhaltiger geplant werden können.
Offizielle Projektseite:
Das europäische Fließgewässernetz ist von mehr etwa 1,3 Millionen Querbauwerken verschiedenster Art unterbrochen, davon allein etwa 200.000 in Deutschland. Dies hat immense Auswirkungen auf die aquatischen Lebensgemeinschaften, denn viele Fischarten benötigen in ihrem Lebenszyklus freie Wege flussauf- wie flussabwärts.
Eine sehr naturnahe Möglichkeit, die ökologische Durchgängigkeit an einem Querbauwerk herzustellen, ist der Bau einer Sohlengleite. Durch die Verwendung großer Steine und deren geschickter Anordnung entsteht ein vielfältiges Strömungsbild ähnlich dem eines Gebirgsbaches. Hier werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn sowohl die ökologische Durchgängigkeit als auch der wasserwirtschaftliche Zweck des Bauwerkes sind gewährleistet.
Problematisch ist allerdings nach wie vor die Dimensionierung von Sohlengleiten, so dass sie möglichst von allen im Gewässer vorkommenden Fischarten und -größen passiert werden können. Zu hohe Fließgeschwindigkeiten sind dabei genauso ungünstig wie zu geringe Wassertiefen. Das Forschungsprojekt MigRamp setzt hier an und macht die Fische sprichwörtlich zu ihren eigenen Baumeistern.
Für das Projekt wurde eine nachweislich funktionierende, d.h. durchgängige, Sohlengleite an der Ilme in Niedersachsen ausgewählt. In Labor- und Naturuntersuchungen werden mit Hilfe von Unterwasserkameras die Wege von Fischen verschiedener Arten auf ihrer Wanderung über die Sohlengleite genau erfasst und entlang dieser so genannten Wanderkorridore die Eigenschaften der Strömung und der Sohle, also des Gewässergrundes, mit modernsten Methoden gemessen. Die Bauingenieure vom LWI tragen mit ihren Erkenntnissen maßgebend dazu bei, den Fischen ihren Weg einfacher zu gestalten.
An der TU Braunschweig wird dieses Projekt am Leichtweiß-Institut für Wasserbau, Abteilung Wasserbau und Gewässermorphologie durchgeführt:
LWI - Wasserbau und Gewässermorphologie
Unsere Projektpartner sind:
Vattenfall Research & Development
Was ist eine „gute Küste“, an der wir sicher vor Naturgefahren, im Einklang mit der Natur, eingebettet in die gewachsene Kulturlandschaft, verantwortungsbewusst und nachhaltig leben und wirtschaften können?
Dieser sehr breit angelegten Frage geht der Forschungsverbund aus drei Niedersächsischen Universitäten an der Niedersächsischen Küste zwischen Ems und Weser nach. Im Zentrum von Ingenieuren, Ozeanographen, Landschaftsökologen sowie Sozialwissenschaften steht der ökosystemstärkende Küstenschutz.
Wie sich norddeutsche typische maritime Landschaftsformen in Schutzkonzepte der zuständigen Behörden integrieren lassen und welchen funktionellen zusätzlichen Schutz durch Wellendämpfung oder selbständige Adaption solche öksystembasierten Ansätze bieten, wird in dem Projekt „Gute Küste Niedersachsen“ untersucht. Dazu werden Reallabore an der Nordsee aufgebaut und über Jahre Daten erhoben, um das Deichvorland mit seiner Vegetation zu beobachten. In einem weiteren Schritt werden die Felddaten genutzt, um die Naturräume im Labor abzubilden und an Ersatz-Modellen verschiedene Systemzustände zu testen, um anschließend Handlungsempfehlungen für den Küstenschutz formulieren zu können.
Projekt Webseite
LWI I Leichtweiß-Institut für Wasserbau I Prof. Dr.-Ing. Nils Goseberg
LWI - Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
IGÖ I Institut für Geoökologie I Prof. Dr. Boris Schröder Esselbach
LWI I Gute Küste Niedersachsen (01.03.20)
LWI | Laufende Projekte: Gute Küste Niedersachsen
TU Magazin | Erfolg für Konsortium in der aktuellen Bewilligungsrunde des Niedersächsischen Vorab (29.11.19)
An der deutschen Nordseeküste prägen weite Strände und natürliche Küstendünen das Landschaftsbild und ziehen mit ihrer ökologischen Vielfalt jährlich Millionen Touristen an. Die Dünen bilden sich infolge von Sandanwehungen, türmen sich mehrere Meter hoch auf und werden mit der Zeit von zahlreichen Pflanzen- und Tierarten besiedelt. Neben ihrer ökologischen Bedeutung erfüllen diese weichen Küstenabschnitte zudem häufig eine wichtige Funktion, da sie das angrenzende Hinterland vor Überflutungen schützen. Sowohl die Lebensraumvielfalt als auch die schützende Wirkung bei einer Sturmflut sind jedoch durch die langfristigen Folgen des Klimawandels und dem damit einhergehenden Meeresspiegelanstieg massiv gefährdet.
Aus diesem Grund setzt sich die Wissenschaft zum Ziel, für die betroffenen Regionen einen nachhaltig wirksamen Küstenschutz zu entwickeln, der gleichzeitig auch die natürliche Artenvielfalt in den Lebensräumen erhält. Das Forschungsprojekt „Sandküste St. Peter-Ording“ entwickelt für ein Dünengebiet in St. Peter-Ording verschiedene Konzepte, um die Dünen möglichst naturnah an den steigenden Meeresspiegel anzupassen.
Experimentelle Versuchseinrichtungen sind in der Wissenschaft von großer Bedeutung, um komplexe physikalische Prozesse aus der Natur in einem großen Maßstab nachzubilden und zu verstehen. Mithilfe einer Wellenmaschine lassen sich in einem langen Kanal bzw. in einem breiten Becken natürliche Welleneigenschaften künstlich erzeugen. Dadurch können sowohl konstruktive Küstenbauwerke (z. B. Deiche) als auch natürliche Küstenlandschaften (z. B. Dünen) verschiedenen Wellen- und Strömungsbelastungen ausgesetzt werden.
Im Projekt „Sandküste St. Peter-Ording“ wird die zu untersuchende Dünenkette als Modell (Maßstab 1:10) im Wellenkanal nachgebildet, um ihre Schutzwirkung unter charakteristischen Wasserstands- und Wellenbedingungen zu testen. In einer ersten Versuchsphase soll neben dem aktuellen Schutzniveau der Düne ebenfalls deren Schutzpotential unter den zukünftig steigenden Sturmflutbelastungen simuliert werden. Mithilfe von zahlreichen Messungen kann dabei erfasst werden, welche morphologische Interaktion zwischen der Düne und den angreifenden Wellen stattfindet und unter welchen Belastungsgrößen bestimmte Versagensmechanismen und -wahrscheinlichkeiten auftreten. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen sollen in einer zweiten Versuchsphase mehrere ökosystemverträgliche Schutzkonzepte entworfen und getestet werden, die eine gezielte Dünenverstärkung mit natürlichen, naturnahen (z. B. Vegetation) oder weichen (z. B. Sandstabilisierung) Maßnahmen vorsehen.
LWI I Leichtweiß-Institut für Wasserbau I Prof. Dr.-Ing. Nils Goseberg WI – Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
LWI I Bagger statt Wellen (03.11.20)
LWI I Gefragte Expertise aus dem Küsteningenieurwesen (13.02.20)
Gefragte Expertise aus dem Küsteningenieurwesen
Projekt Webseite:
LWI | Sandküste St. Peter-Ording
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Diese und viele weitere spannende Themen erwarten euch auch im Studium des Bauingenieurwesens. Bauen mit der Natur findet also in einem vielseitigen und anspruchsvollen Bereich zwischen Biologie, Physik, dem Ingenieurwesen und vielen weiteren Disziplinen statt und bedarf auch in Zukunft motivierter und praxisorientierter Studierender, die unsere Umwelt und Infrastruktur gestalten.
Interesse geweckt? Auf dieser Seite gibt dir das Leichtweiß-Institut für Wasserbau der TU Braunschweig einen kleinen Einblick - Bei Interesse kannst du dich jederzeit an die Mitarbeitenden des Leichtweiß-Instituts oder die Fakultät 3 wenden!
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