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Herr Professor Milatz, Sie übernehmen das Institut für Geomechanik und Geotechnik von Prof. Stahlmann und arbeiteten sogar einen Monat lang parallel mit Herrn Stahlmann vor seinem Abschied. Wieviel Tradition gibt es in dem Institut, wie stark wird der Wandel?
Den Lehrstuhl von Prof. Stahlmann habe ich auf meinen Wunsch hin bereits zum 1. März übernommen. Mit so einer Überlappungszeit ist es gut, reinzukommen und die Institutsgeschäfte zu übernehmen. Ich bin rundum freundlich aufgenommen worden, hier von allen Kolleginnen und Kollegen und Herr Stahlmann hat sich viel Zeit für mich genommen. Wir haben viele Gespräche geführt, so dass ich einen guten Start hatte.
Ich habe viele gewachsene Strukturen übernommen, was die Institutsausstattung angeht, das Personal, die Lehre und viele Geräte sind verfügbar und das ist ein Segen. Das war ein sehr guter Start! Das Labor läuft mit sehr gutem Laborpersonal und dafür bin ich sehr dankbar. Natürlich möchte ich auch neue Geräte anschaffen und das wird in den nächsten Wochen auf den Weg gebracht.
Mit Hilfe von Computertomographie möchten Sie Prozesse in Bodenproben untersuchen. Wie können wir uns das vorstellen? In welchen Maßstäben wird das stattfinden, wie groß werden die Geräte sein?
Die Computertomographie (CT) konnte ich erstmals 2017 einsetzen, ganz bescheiden, mit einem CT-Scanner am Institut für Biomechanik in Hamburg. Da wurden üblicherweise Knochenproben untersucht und wir haben begonnen, Bodenproben zu untersuchen, um herauszufinden, was wir da für Bilder bekommen. Das ist dann über die Jahre gewachsen mit einer Kooperation mit der Université Grenoble Alpes. Die haben einen ganz tollen wissenschaftlichen Computertomographen dort stehen und sind spezialisiert auf Bodenuntersuchungen, dort habe ich weiter geforscht.
An der TU Braunschweig habe ich festgestellt, dass es auch hier so gute Geräte gibt, beispielsweise beim Kollegen Prof. Ralf Jänicke, der einen Hochleistungscomputertomographiescanner hat. Am iBMB, direkt nebenan, steht ein wissenschaftlicher CT-Scanner, den wir auch weiter nutzen wollen, der von Thorsten Leusmann betreut wird. Man braucht diese Infrastruktur. Das sind typischerweise Großgeräte und wir wollen mit den Instituten eng zusammenarbeiten. Wir können aber auch Großforschungseinrichtungen nutzen wie zum Beispiel das Deutsche Elektronen-Synchroton DESY in Hamburg. Dort können wir die Synchroton-Strahlung nutzen, die aus dem Teilchenbeschleuniger als Nebenprodukt hervorgeht und mit brillanter Röntgenstrahlung mit kurzen Aufnahmezeiten hochaufgelöste 3D-Bilder erzeugen.
Die Vision wäre es, hier in Braunschweig ein bodenmechanisches Forschungslabor für spezielle CT-Experimente einzurichten. Man braucht typischerweise kleine Geräte, die man in den CT-Scanner hineinbekommt. Mit dem Bau solcher Geräte habe ich mich in den letzten Jahren in einem Graduiertenkolleg in Hamburg befasst. Nach dem Prinzip des „Physical Computing“ kann man sehr kreativ eigene Apparaturen bauen, die über eigens entwickelte Software gesteuert werden. Das Produkt ist dann ein miniaturisierter Versuchsaufbau, den man in einen CT-Scanner reinstellen kann und den man idealerweise fernsteuert über eine sehr gut handhabbare Programmiersprache wie Python. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, solche Techniken in Forschung und Lehre an der TU Braunschweig zu etablieren.
Die Geräte sind üblicherweise klein, da sie auf den Drehtisch von einem CT-Scanner passen müssen. Die Bodenproben, die ich zuletzt untersucht habe, waren ungefähr daumengroß. Das sind wenige Millimeter, aber die Proben umfassen tausende Sandkörner! Wir können mit hoher räumlicher Auflösung studieren, wie Sandkörner aneinander reiben, wie sie sich bewegen und rotieren und wie sich Fluide, z. B. Wasser und Luft, zwischen den Sandkörnern im Porenraum bewegen.
Neu ist der Themenfokus Herausforderungen aus dem Klimawandel. Was bedeutet das im Bereich Boden?
Dieses Thema treibt uns alle um. Wir haben es alle erlebt, dass in einem extrem heißen Sommer unsere Pflanzen im Garten eingehen oder auf der anderen Seite unser Keller vollläuft. Unsere Städte müssen mit extremer Hitze klarkommen und mit Extremwetterereignissen, was Niederschläge und Überflutungen angeht, beispielsweise bei der Oker, die hier durch Braunschweig fließt.
Der Klimawandel im Bereich Boden tangiert die Landwirtschaft, die Städte und den Küstenschutz. Die Deiche werden bei Starkregen aufgesättigt und es gibt Deichbruchgefahr. Da haben wir viel Forschungsbedarf, was Standsicherheit von Deichen angeht, ein klassisches Thema im Erdbau bzw. in der Geotechnik.
Ich befasse mich in der Forschung auch mit teilgesättigten Böden, wie wir sie eigentlich überall oberflächennah anstehen haben. Bei teilgesättigten Böden sind die Poren zwischen den Körnern nicht komplett trocken und nicht komplett mit Wasser gefüllt. Dadurch habe ich Kapillareffekte. Das Wasser kriegt eine Zugspannung oder eine Saugspannung, die zur Tragfähigkeit des Bodens beiträgt. Trocknet der Boden aus oder sättigt er vollständig auf, verliert der Boden seine Tragfähigkeit. Wir kennen das alle von Sandburgen: Wenn wir eine Sandburg bauen, die komplett durch die Sonne austrocknet, geht sie kaputt, aber auch, wenn eine Welle kommt. Auch Deiche sind in der Regel teilgesättigt, verlieren sie diese Eigenschaft, dann halten sie nicht mehr.
Das wollen wir hier gemeinsam mit den benachbarten Instituten untersuchen, auch mit dem großen Wellenkanal, wo ich jetzt auch Co-Direktor bin. Die Interaktion von Bauwerk, Boden und Wasser ist ein Bereich, in dem wir gemeinsam Forschen können, auch im GWK, wo wir Bauwerke in den Wellenkanal in verschiedenen Maßstäben prüfen können. Wir würden dabei die Bodenkomponente liefern.
Das IGG hat sich bisher auch schwerpunktmäßig mit der Endlagerung von radioaktiven Abfällen beschäftigt. Setzen Sie diese Arbeit fort?
Wir haben die Asse hier vor den Toren Braunschweigs, wo bereits viel getestet wurde und auch viele Probleme auftraten. Ich finde das Thema sehr spannend, es war Herrn Stahlmanns Steckenpferd und ein Leuchtturmprojekt hier. Es ist eine Jahrmillionenaufgabe, wir müssen da eine Lösung finden. Das Forschungsthema wird am Institut zur Zeit im Projekt SEMOTI weiter bearbeitet, dass Herr Stahlmann zu Ende betreut. Wie können wir das Endlager sicher betreiben über die Zeiträume, wie können wir das berechnen? Das ist eine große Aufgabe, die wir lösen wollen, auch unter dem Aspekt der Rückholbarkeit. Als Geotechniker würde ich die Wirtsgesteine in den Blick fassen. Was passiert denn da, wenn Salzlake oder Süßwasser durch Steinsalz strömt, wie löst sich das auf? Das wollen wir mit neuen Methoden untersuchen. Das Seminar Tiefenlagerung wollen wir fortsetzen.
Ein anderes traditionelles Thema am IGG ist der Tunnelbau. Angesichts des immensen Aufwands und Materialverbrauches in Zeiten des Klimawandels: Unter welchen Parametern ist der Tunnelbau für Verkehrswege überhaupt noch zukunftsfähig? Was für Einsparungspotentiale gibt es hier?
Das Thema Tunnelbau hat mich viele Jahre begleitet, ich habe in Hamburg auch einen Lehrauftrag „Einführung in den Tunnelbau“ gemacht, von der Historie aus dem Bergbau bis zur modernsten Vortriebstechnik. Natürlich ist das ressourcenaufwändig und erzeugt viel Abraum, teilweise auch Abraum, der so modifiziert ist, dass man ihn deponieren oder wieder aufarbeiten muss. Hier kann man mit Abraummanagement sicher eingreifen, damit ich das Material als Baustoff weiterverwenden kann.
Ich halte Tunnelbau nach wie vor für wichtig und wir können da noch viel forschen. Auch in Zusammenarbeit mit der Firma Herrenknecht, die uns hier auch mit Stipendien für Studierende unterstützt.
Was planen Sie in der Lehre?
Es gibt u.a. neue Strömungen im Spannungsfeld Grundlagenwissen versus Digitalisierung. Mir ist wichtig, dass die Studierenden solide Grundkenntnisse erhalten in den Bereichen Bodenmechanik, Grundbau, in den Vertiefungen untertägiger Hohlraumbau, unterirdisches Bauen, und natürlich auch in der Anwendung numerischer Methoden. Mir ist wichtig, dass Studierende Programmieren lernen, was in den letzten Jahren stiefmütterlich im Bauingenieurwesen behandelt wurde. Die Studierenden können lernen, einen Minicomputer zu programmieren, um ein Experiment zu steuern, beispielsweise Motoren zu steuern, die eine Bodenprobe belasten, und Sensoren anzusprechen, die Daten sammeln.
Sie bezeichnen sich als bodenständig und norddeutsch - dann dürfte es Ihnen leichtfallen, in Braunschweig Fuß zu fassen. Sind Sie gut in Braunschweig angekommen?
Ich habe die Stadt im Rahmen der Bewerbungsphase kennen gelernt und auch lieben gelernt, es ist im Vergleich zu Hamburg übersichtlicher im positiven Sinne, man kann alles schnell erreichen, es gibt aber auch viele grüne Bereiche und Wasser – wie in Hamburg. Das finde ich sehr sehr schön. Ich habe auch schon eine gut gelegene Wohnung gefunden.
Ich bin groß geworden in Norderstedt, im Speckgürtel von Hamburg, in Schleswig-Holstein zwischen den Meeren. Auch wandermäßig bin ich viel in Norddeutschland unterwegs gewesen.
Ich kann mir vorstellen, dass man als Bodenwissenschaftler ganz anders wandert, wenn man weiß, was sich unter einem befindet.
Ja, geologisch ist Braunschweig auch sehr interessant. Von Natur aus war ich immer sehr interessiert an Geologie, ich wollte Paläontologie studieren und ich sehe jetzt, dass man das gut kombinieren kann, wenn ich hobbymäßig bei meiner Arbeit Fossilien suche. Es gibt sogenannte Leitfossilien, die repräsentativ für bestimmte Erdschichten und Zeitalter sind. Diese Liebe für die Natur kann ich hier mit einbringen.
Wir haben hier verschiedene Geomaterialien, vor mir stehen Proben von verschiedenen Sanden, aus Island mit vulkanischen Bestandteilen, aus den großen Seen in Kanada und eine Probe aus Santorin, Griechenland, wo die einzelnen Körner porös sind. Diese Sande haben völlig verschiedene Eigenschaften. Das besser zu verstehen und berechenbarer zu machen, das ist eine Vision von uns. Je genauer man hinguckt, umso komplizierter wird es. Das fasziniert mich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Heiko Jacobs